Von Erfolg zu Einbruch: Wie sich LinkedIn verändert hat.
Jahrelang war es der Goldstandard im B2B-Vertrieb: LinkedIn. Bis 2023 war die Plattform für mich persönlich die verlässlichste Quelle für Neukunden. Rund 90 Prozent meiner Projekte – hauptsächlich mit Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) – kamen direkt oder indirekt über dieses Netzwerk zustande. Es war ein Ort des direkten Austauschs, der schnellen Entscheidungen und der echten Relevanz.
Doch diese Ära ist vorbei.
Seit Anfang 2024 ist dieser Lead-Kanal für mich komplett eingebrochen. Die direkten Anfragen von Entscheidern sind versiegt. Die Postfächer sind voll mit generischen Kaltakquise-Nachrichten, und der Feed ist überflutet von Beiträgen, die keinen echten Mehrwert mehr bieten. Diese Erfahrung ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom einer tiefgreifenden Veränderung.
Dieser Beitrag beleuchtet analytisch und faktenbasiert, warum die Plattform für KMU-Geschäftsführer nicht mehr funktioniert, wo die Entscheider wirklich sind und welche strategischen Alternativen der deutsche Mittelstand jetzt dringend braucht.
Das Wachstums-Paradoxon: Viele Mitglieder, wenig Entscheider
Die Schlagzeilen klingen beeindruckend: LinkedIn wächst in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH-Region) auf über 22 Millionen Mitglieder. Allein in Deutschland sind es rund 21 Millionen Profile. Doch dieses reine Zahlenwachstum ist für den B2B-Vertrieb im Mittelstand eine gefährliche Illusion.
Die Fakten zeigen ein deutliches Bild:
Geringe Aktivität: Von den 21 Millionen registrierten Nutzern in Deutschland sind nur etwa 6,8 bis 7,4 Millionen monatlich aktiv. Das bedeutet, dass zwei Drittel der Profile still oder inaktiv sind.
Verschiebung der Zielgruppe: Die Plattform wird von Selbstständigen, Beratern, Karrierewechslern und Führungskräften der zweiten Ebene dominiert. Für sie ist LinkedIn ein wichtiges Tool für Personal Branding und Jobsuche.
Der CEO-Exodus: Die eigentliche Zielgruppe der KMU-Geschäftsführer ist kaum aktiv.
Faktencheck: Wie aktiv sind KMU-Geschäftsführer auf LinkedIn?
Die Annahme, dass die Entscheider des deutschen Mittelstands massenhaft auf LinkedIn unterwegs sind, ist ein Mythos. Eine Analyse des Nutzungsverhaltens von KMU-CEOs liefert ernüchternde Zahlen:
Aktivitätsgrad
Kein Account: Mehr als 50 Prozent der KMU-Geschäftsführer verfügen über keinen LinkedIn-Account.
Inaktives Profil: Weitere 36 Prozent haben lediglich ein inaktives Profil.
Aktiv (mind. 3 Posts/Jahr): Nur 12 Prozent der KMU-Geschäftsführer sind aktiv (definiert als mindestens drei Beiträge pro Jahr).
Zum Vergleich: Bei CEOs börsennotierter Unternehmen kommunizieren hingegen 80 Prozent rege auf der Plattform. Allerdings haben diese dafür oft externe oder interne Mitarbeitende.
Nur etwa jeder zehnte Geschäftsführer eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens nutzt LinkedIn also aktiv. Im Gegensatz dazu kommunizieren 80 Prozent der CEOs börsennotierter Unternehmen rege auf der Plattform. Wer also im B2B-Vertrieb auf organische Reichweite bei KMU-Entscheidern setzt, fischt in einem sehr kleinen, oft inaktiven Teich.
Der Algorithmus-Schock: Warum Social Selling nicht mehr funktioniert
Der zweite Grund für den Einbruch der Lead-Qualität liegt im Algorithmus-Wandel der letzten Jahre. LinkedIn hat sich von einem Business-Netzwerk zu einem Content-Netzwerk entwickelt, das auf Engagement und Verweildauer optimiert ist.
1. Der massive Reichweiteneinbruch
Die wichtigste Kennzahl für alle, die über LinkedIn Leads generieren wollten, ist die organische Reichweite. Und diese ist massiv gesunken.
Eine große Algorithmus-Studie von Richard van der Blom (2025) stellte bei 95 Prozent der aktiven Accounts eine Reichweitensenkung von rund 50 Prozent fest. Das durchschnittliche Engagement (Likes, Kommentare) sank auf rund 75 Prozent des Vorjahresniveaus.
Das bedeutet: Ein Post, der 2023 noch 10.000 Personen erreicht hat, erreicht heute nur noch 5.000 – selbst wenn die Followerzahl gestiegen ist.
2. Die Dominanz der „weichen“ Themen
Der Algorithmus belohnt heute primär Inhalte, die zu einer langen Verweildauer und vielen Kommentaren führen. Das sind oft:
- Persönliche Geschichten und Anekdoten (Jobwechsel, Karriere-Tipps, „Ich habe gelernt, dass…“)
- Emotionale, polarisierende Beiträge (oft mit wenig Business-Substanz)
- Umfragen und einfache Fragen
Reine, faktenbasierte und businessorientierte Posts, die direkt auf die Probleme von KMU-Geschäftsführern abzielen, erzielen kaum noch organische Sichtbarkeit. Der Feed ist voll mit „Content-Marketing-Müll“ – gut gemeint, aber ohne die notwendige Schärfe für die Akquise.
Strategische Alternativen: Wo der KMU-Geschäftsführer wirklich Zeit verbringt
Die Schlussfolgerung für KMU-Geschäftsführer und B2B-Vertriebler muss sein: LinkedIn ist kein Selbstläufer mehr für die Akquise von Top-Entscheidern. Wer weiterhin erfolgreich sein will, muss die Strategie an das veränderte Verhalten der Zielgruppe anpassen.
Der typische KMU-Geschäftsführer hat wenig Zeit, ist „Social-Media-müde“ und sucht keine Unterhaltung, sondern Lösungen für akute Probleme.
Hier sind die drei effektivsten Alternativen und Ergänzungen zum klassischen Social Selling:
1. Zurück zum direkten Kontakt: Die Macht der Empfehlung
Der wichtigste Kanal ist und bleibt die persönliche Empfehlung und der Direktkontakt.
Strategische Partnernetzwerke: Kooperationen mit Dienstleistern (z.B. IT-Häuser, Steuerberater, spezialisierte Agenturen), die bereits das Vertrauen der Zielgruppe genießen. Eine Empfehlung aus diesem Kreis hat eine messbar höhere Conversion-Rate als jeder LinkedIn-Post.
Exklusive Präsenz-Events: Statt offener Webinare funktionieren kleine, exklusive Masterclasses, Roundtables oder Kamingespräche besser. Der Entscheider kommt, weil er weiß, dass er unter Gleichgesinnten ist und keine getarnte Verkaufsveranstaltung droht.
2. Content-Strategie: Fokus auf die „zweite Reihe“
Wenn der CEO nicht aktiv ist, muss man die Führungskräfte der zweiten Ebene (z.B. Leiter der Produktion, IT-Leiter, Prokuristen) überzeugen. Diese sind auf LinkedIn deutlich aktiver und fungieren als Gatekeeper oder Impulsgeber für den Chef.
Content-Shift: Erstellung von Inhalten, die deren akute, operative Probleme lösen (z.B. „Wie Sie 30% der Rüstzeiten in der Produktion sparen“).
Gezielte Ansprache: Nutzung des LinkedIn Sales Navigators nicht mehr für den CEO, sondern für die Führungskräfte darunter, die den Schmerz am stärksten spüren.
3. CRM und Automation: Vom Like zum Lead
Der Vertrieb muss sich von der Illusion lösen, dass ein „Like“ ein Lead ist. Stattdessen sind automatisierte, datengestützte Prozesse gefragt.
Smartes Follow-up: Nutzung der Website und E-Mail-Marketing, um aus anonymen Besuchern qualifizierte Kontakte zu machen. Ein gut gepflegtes CRM-System liefert heute oft verlässlichere Leads als die Social-Media-Aktivität.
Value-First-Ansatz: Hochwertige, exklusive Ressourcen (Whitepaper, Checklisten) an, die nur gegen Kontaktinformationen erhältlich sind. Das filtert die echten Interessenten heraus.
Sichtbarkeit ersetzt keinen Dialog
Das LinkedIn-Paradoxon 2025 ist klar: Die Plattform ist größer denn je, aber für viele KMU-Geschäftsführer im B2B-Vertrieb ist sie in ihrer aktuellen Form ineffizient geworden. Das Wachstum der Mitgliederzahl geht auf Kosten der Qualität und der organischen Reichweite für relevante Business-Themen.
Die persönliche Erfahrung des Einbruchs im Lead-Geschäft ist ein Weckruf. Es ist Zeit, die Strategie anzupassen und sich wieder auf die Kanäle zu konzentrieren, wo die echten Entscheider ihre Zeit verbringen: Im direkten Gespräch, in exklusiven Netzwerken und bei der Lösung ihrer dringlichsten Probleme.
Der moderne B2B-Vertrieb im Mittelstand braucht weniger Social-Media-Sichtbarkeit und mehr strategischen, substanziellen Dialog.